#actout – ist das nötig?

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AllgemeinWorüber ich so nachdenke...

Ich geh ja immer mit dem Hund. Der Hündin. Kann aber den Park um die Ecke nicht mehr sehen. Bin also mit Elise an den Rhein gefahren, Hochwasser gucken.

Das ist wirklich interessant: Da, wo ich vor ein paar Monaten im Sommer noch flaniert bin, ist jetzt alles unter Wasser. An den fest vertäuten Schiffen der „Köln-Düsseldorfer“ sammeln sich große Flächen von Treibgut.

Vater Rhein fließt unbeeindruckt weiter, macht sich in seinem Bett breiter als sonst. Das macht er gern im Frühling. An seinen Ufern matscht und gluckert es; es scheint, als genieße er diese Fülle. Das macht aber nix, weil bei dem Wasserstand noch niemand hier gefährdet ist. Die Altstadt ist durch hohe Wände geschützt. Also stehen die Kölner Menschen mit ihren Hunden, oder auch ohne, grad alle am Rhein und gucken.

Die Natur zeigt uns, dass sie von Normen nicht viel hält

Während das Lieschen auf den wenigen Grünflächen einen geeigneten Ort zum Pieseln sucht, denke ich schlendernd so über die Woche und die vergangenen Tage nach. Mir fällt das Outing vieler Schauspieler im SZ-Magazin ein. Von einigen wusste ich es, von andern nicht. Aha.

Mein erster Reflex ist: „Ja, und?“. Ich wundere mich einfach, dass das immer noch „ein Schritt“ ist.

Ich schreibe hier ausdrücklich als heterosexuelle Frau, die zwar queere Menschen kennt und mit einigen befreundet ist. Aber mit dem Problem „sag ich`s oder sag ich`s nicht?“ musste ich mich nie rumschlagen. Ich musste keine Angst haben, dass meine Eltern nichts mehr von mir wissen wollen. Nur, weil ich bin wie ich bin.

Natürlich kenne ich auch Vorurteile oder Ängste.

Es war 1981. Ich war mit fünf Plastiktüten von zu Hause ausgezogen, weil ich in Bielefeld zur Fachoberschule gehen wollte. Meine Freundin ließ mich bei sich wohnen. An einem der ersten Abende gingen wir in eine Kneipe. Das fand ich sowieso ziemlich aufregend. Dann erzählte mir meine Freundin, dass diese Kneipe einem schwulen Paar gehörte.

Als wir rein gingen, wurde mir doch tatsächlich schwindelig, weil ich mit meinen zarten 18 Lenzen einfach nicht wusste, was mich erwartet. Kam aus der Kleinstadt, behütet aufgewachsen und einfach keinen Schimmer. Etwas zittrig setzte ich mich hin. Sehr bemüht, lässig und erfahren zu wirken.

Naja, spätestens als mir die Straßburger Fleischpastete serviert wurde (Insider wissen, welche Kneipe ich meine), war es mir dann egal, wen der Koch liebte.

Später habe ich mich immer ein bisschen für dieses landpomeranzige Panik-Gefühl geschämt.

Seitdem habe ich viele Menschen kennengelernt mit einer sexuellen Ausrichtung, anders als meine. Nette und Doofe darunter. Kriege inzwischen keine Schwindelgefühle mehr.

Also habe ich mich, schlendernd am Rheinufer, gefragt: Warum müssen sich Menschen outen, die einen künstlerischen Beruf haben? (Warum überhaupt?) Schauspieler sollen ja eh ein wenig exaltiert sein, da kann das doch nicht so schwer sein. Und überhaupt:

Wir leben doch in einer aufgeklärten Zeit! Oder?

Leider nein.

Dieses Argument der vermeintlichen Aufklärung wird – so vermute ich – nämlich oft nur benutzt, wenn man sich mit diesen Themen nicht mehr auseinandersetzen will:

Wir sind ja aufgeklärt, was regen sich die Schwulen denn noch auf?

Stammtisch lässt grüßen, der trifft sich auch in Coronazeiten.

Mit der Aufklärung muss wohl jede Generation für sich neu beginnen, schätze ich.

Als ich zu Hause ankomme, lese ich ein bisschen zu dem Thema im Internet. Finde natürlich viel kluge Texte von ZEIT, SZ und Co. Aber den schönsten Satz zur vermeintlich aufgeklärten Gesellschaft lese ich von einer Schülerin aus Braunschweig, Julia A. Sie schreibt auf dem Blog des Gymnasiums Raabeschule:

„Wir leben wohl in einer wissbegierigen und fortschrittlichen, aber nur teilweise toleranten und gebildeten Gesellschaft. Es ist also noch ein langer Weg zu einer völlig aufgeklärten Gesellschaft.“

Danke, Julia!

Also hat  sich was mit Aufklärung und „Wir sind doch heute viel weiter als damals.“ Ich lese auch, dass es den Menschen mit dem SZ-Outing wohl nicht um deren Mikrokosmos geht, der eh mit Künstlern und Queer-Menschen bevölkert ist. Sie wehren sich gegen die Diskriminierung in ihren Jobs, z. B. bei der Besetzung von Rollen. Sie wollen sichtbar sein und ausschließlich nach ihren Fähigkeiten besetzt werden. Ich Schaf dachte, das WÄRE so!

Achtung, Ironie:

Man glaubt es kaum, aber schwule Männer können echte Kerle sein und Lesben sogar hingebungsvolle Mütter und Familienfrauen. Sowas!

Dass es wirklich Regisseure und Casting-Agenten gibt, denen man das erklären muss, ist eine Schande!

Darum ist diese Aktion leider nicht unnötig!

Wer Angst hat, bewegt sich nicht

Es muss wirklich furchtbar sein, so einen wichtigen Teil seiner Persönlichkeit verbergen zu müssen. Ich würde, wenn ich bekannt wäre, meine Liebe natürlich gerne zeigen. Sei es in einer Homestory oder auf coolen Veranstaltungen. Und wenn Kinder kommen, möchte man/frau sie doch überall vorzeigen, gebt`s doch zu! 😉

Aber es nicht zu dürfen? Aus Angst um den Job?

Angst kostet die Freiheit

Ich weiß, wie sich eine grundsätzliche Angst anfühlt. Nicht die Angst vor dem Hund, der da kommt oder dem Auto, das plötzlich die Seite wechselt. Sondern eine Angst, die ich eigentlich gar nicht bemerke. Ich werde innerlich steif, irgendwie unbeholfen, der Rücken tut weh und die Kraft schwindet. Das macht krank und verhindert jede Form von Lebensfreude.

Klar gibt es die Mitglieder der LSBTI-Community, die strahlend und oft recht sexy ihr So-Sein nach außen tragen. Wir tanzen mit ihnen hier in Köln jedes Jahr auf dem ColognePride. Sehr bunt und lebensfroh – gut, dass ihr da seid!

Aber das ist die Ausnahme. Mer fiere zesamme (Wir feiern zusammen), aber im Alltag sieht das vielleicht ganz anders aus.

Und das grundsätzliche Problem ist dadurch längst nicht gelöst. Mir als TV-Zuschauerin ist es ausdrücklich recht, wenn eine lesbische Frau eine klassische Ehefrau und Mama spielt – erstens kann sie beides tatsächlich sein (!) und außerdem: DIE TUT NUR SO! Es ist deren Job, so zu tun, als seien sie jemand anders.

„Wir können Leben retten, ohne Medizin zu studieren!“,

so steht es im Manifest der #actout-Gruppe. Eben.

Es muss sich wirklich ändern, das kann doch nicht wahr sein, das die sexuelle Orientierung eine Rolle bei der Vergabe von Jobs spieltl!!!

Also hoffe ich doch sehr, dass dieses Outing keine beruflichen Nachteile für die Teilnehmenden hat! Und die Rollen, besonders die Hauptrollen, gerecht besetzt werden! Schwul, lesbisch, nicht binär, trans oder inter zu sein, soll keine große Sache und schlicht uninteressant sein!

Schauspieler brauchen Freiheit und die Offenheit für ihre Arbeit. Dazu braucht es unsere Offenheit, wenn wir im Kino oder vor dem Fernseher sitzen.

Und nicht nur Schauspieler, jeder Mensch hat das Recht auf ein Leben ohne aufgezwungene Geheimnisse.

 

Hast du eine Meinung, eine Haltung oder eine Frage dazu, liebe Leserin? Schreib sie in die Kommentarfunktion.

Hier ein paar Links dazu:

https://www.sueddeutsche.de/medien/coming-out-schauspieler-actout-reaktionen-1.5198771

https://www.zeit.de/2021/07/outing-schauspiel-actout-sueddeutsche-homosexualitaetlgbtq 

Infos zum Cologne Pride 

Lesben- und Schwulenverband NRW

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4 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • #act out
    Sehr guter Denkanstoß. Und in seiner Beiläufigkeit vorbildlich. Sollte eigentlich kein Thema sein.
    Bei mir und hoffentlich vielen anderen gehst du tief rein in die Widersprüchlichkeit und Komplexität dieses Themas. Es ist absurdes Theater …

    Meine Gedanken als Betroffener (allein das Wort! „Sagen Sie mal, ist Ihr Jüngster nicht auch betroffen? Ich hab da Sachen gehört …“):

    Was ich aus vielen Kommentaren zum Thema herauslese: Es hängt den Heten mal wieder bis auffe Schuhe. Das bunte Alphabet soll doch bitte seine unangemessenen Befindlichkeiten nicht länger in die mehrheitlich heteronormative Öffentlichkeit tragen, sondern ihr sonderliches Gebaren lieber diskret behandeln. „Es interessiert mich doch garnicht, was die in ihren Schlafzimmern veranstalten – die sollen mich damit in Ruhe lassen!“ Bitte bemerken Sie das „die“ als Mittel zur Distanzierung.

    Diese vermeintlich tolerante (tolerare = ertragen!) Aussage ist eine fromme Lüge, die Kardinal Woelki alle Ehre macht! Es gibt nichts, ich wiederhole gar nichts, was die Gesellschaft mehr interessiert, als was ihre Prominenten im Schlafzimmer treiben. Davon lebt die gesamte Klatschpresse. Und jetzt kommt das Beste: Wenn ein/e Prominente/r, der/die sich als hetero definiert/darstellt, mit einem gleichgeschlechtlichen Partner erwischt wird, gehen die Verkaufszahlen durch die Decke! „Wie delikat“! Und wenn’s dann noch zwei Männer sind, gibt’s kein Halten mehr. Weil männliche Homosexualität skandalöser ist als weibliche. War so, ist so, bleibt so. Ist ungerecht, ändert aber nix. Die weibliche Homosexuelle kämpft damit, nicht ernst genommen zu werden, der männliche damit, als lebensbedrohlich wahrgenommen zu werden. Hat wohl mit dem guten alten Patriarchat zu tun. Was alte weiße Männer halt so denken. Mir wird der Tod angeboten, meinen lesbischen Freundinnen Sex. Da bin ich schon ein bisschen neidisch.

    Der Unterschied ist folgender: Wenn jemand erklärt homo/bi/trans ist, DANN plötzlich interessiert es sie angeblich nicht mehr. Jawiesodasdenn?

    Weil es an der Norm rüttelt. Es ist kein unterhaltsamer Fehltritt mehr, es stellt in Frage.

    Und dann wird schnell klein gemacht: „Ach Jottchen, gezz muss die kleine Schwuppe leiden, weil um ihn herum lauter Normalität passiert! Die Ärmste!“

    Nö. Kann ich gut mit leben. Ich kenne ja nichts anderes.

    Ist ja viel perfider, so gaslighting-mäßig wie in „Rebecca“: Ich habe gelernt – nein anders, ich konnte nicht umhin (danke, Carrie!), das gut, groß und richtig zu finden – und in der Folge mich schlecht, klein und falsch. Weil die geballte Darstellung von Heterosexualität allgegenwärtig ist. Auf allen Kanälen. Zu jeder Zeit. 24/7: So ist richtig. Du falsch.

    In der Folge komme ich gar nicht auf die Idee, händchenhaltend mit meinem Mann durch die Stadt zu gehen oder ihn gar in der Öffentlichkeit zu küssen. Weniger aus Angst vor Anfeindungen, sondern vielmehr, weil ich es selber falsch finde. Ich habe es probiert und konnte es gerade mal 20 Meter weit ertragen. Die Anspannung ist da größer als der Genuss, sagt mein Mann. Und das ist das, was ich schlimm finde. Dass alle meine Heterofreunde das tun und genießen können, und ich nicht mal in der Lage bin, das zu denken. Weil ich das Falschsein so verinnerlicht habe.

    Um das zu überleben, sucht die Natur einen Ausweg: Du bist besonders! Du bist speziell, du bist geheim. Du schaffst dir eine Subkultur mit Passwörtern und Geheimcodes. Die „Normalen“ müssen draußen bleiben.

    Das funktioniert großartig! Bis die Normalen sich da reinschleichen und den Laden übernehmen, weil sie ihn so toll finden – ach was, jetzt plötzlich!

    Das ist so ungefähr die Stelle, an der wir uns gerade befinden. Die queere Gemeinschaft schwankt zwischen der Sehnsucht, besonders zu bleiben oder Teil der Normalität zu werden und die Heterogesellschaft zwischen ich-will-die-nich-dabei-haben und och-ich-kann-mir-vieles-vorstellen.

    Es bleibt spannend.

    Antworten
    • Vow, danke für diesen Input! Gibt mir auch wieder eine neue Sicht auf die Dinge! Spannend bleibt es – und das ist gut so!

      Antworten
  • Gisela/Gisella Liebes,

    das hast du ganz wunderbar in Worte gefasst. Bei mir hat die Aktion im Hinblick auf die Tragweite für mich bestenfalls „Aha“-Status ( bei einigen wusste ich es, bei anderen nicht, wieder andere kannte ich nicht mal), aber die Tatsache, dass es immer noch notwendig ist, all seinen Mut zusammenzunehmen und gemeinsam mit Gleichbetroffenen in dieser Form auf eine Diskriminierung aufmerksam zu machen, von der ich dachte, zumindest im Kreativ–/Schauspiel-/Kunst-/Kulturbereich sei sie lange überwunden, macht schon traurig. Von der Situation in Männerdomänen wie dem Profifußball gar nicht zu reden…

    Es ist doch soooooo egal, wen/was man liebt, Hauptsache man ist ein anständiger Mensch! Aber bis alle so denken, wird es wohl noch ein bisschen dauern. Schaun mer mal… 🏳️‍🌈

    Antworten
    • Liebe Christine, danke für den Kommentar, dem ich voll zustimme. Ich habe die leise Hoffnung, dass die #actout-Gruppe damit einiges erreicht. Zumindest mir – und netten Menschen wie dir – ist dadurch klar geworden, dass es eben noch nicht selbstverständlich ist.

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