Oh Frau, ich habe heute einen der schönsten Spaziergänge seit langem gemacht. Und ich hab dir Fotos und Gedanken mitgebracht. Das Wetter war so lala und ich habe zwei Nackte geknipst. Aber hier die ganze Geschichte:
In diesem komischen Mai habe ich nicht immer gute Laune. Zum einen ist das Wetter oft unangenehm, zum anderen fallen mir ganz viele Haare aus (Siehe Wechseljahre). Am liebsten würde ich nach der Arbeit auf dem Sofa sitzen, mich mit Essen und Wein und ab und zu einem Kuss bedienen lassen und den Fernseher leer gucken. Netflix liebt mich. Mein Mann zum Glück auch, sonst gäbe es für mich niemanden, der mich wenigstens ab und zu bedient.
Aber immer geht das eben nicht. Die Arbeit macht mir Spaß, das ist schonmal gut. Aber sie fordert mich auch. Manchmal habe ich ein kleines bisschen Angst, dass mein Gehirn schon mit zu vielen Dingen vollgestellt ist, die sich im Laufe der Jahre so angesammelt haben.
Mit Ordnung habe ich so meine Probleme. Und darum ist es notwendig, dass ich ab und zu Luft und einen weiten Blick reinlasse. Da trifft es sich gut, dass mein Hund immer mal wieder mit ungewohnten Situationen konfrontiert werden muss. Elise ist ein Angsthund und sie lernt so, dass wir sie beschützen und ihr nichts passiert.
Ich bin also mutig auf die Schäl Sick gefahren
Das ist die andere Rheinseite, auf der ich selten bin. Höchstens, um liebe Freude zu besuchen, die dort wohnen. Ich bin also da ausgestiegen, wo sonst die Kirmes stattfindet. Das gehört, glaube ich, zu Poll, einem der Kölner Veedel. Wenn man mit dem Zug nach Köln fährt, kann man es auf der linken Seite sehen.
Es wehte ein sanfter Wind, es roch gut – so gar nicht nach Stadt – und ich konnte wirklich tief durchatmen. Direkt am Rhein war eine breite, asphaltierte Fläche und da waren junge Menschen, keine Jugendlichen, die sich die Zeit vertrieben: Mit Rollerskates, Basketballwürfen und Skateboards, eins sogar mit einem Segel dran. Und ein ziemlich cooles Bild an einem kleinen Gebäude. Ein Pinguin, der die Mauern durchbricht. Na dann!
Alles war unaufgeregt und entspannt und irgendwie cool. Wie aus einem Film von Spike Lee.
Manchmal versuche ich, mich mit den Augen der 18-Jährigen zu betrachten, die ich mal war. Das hätte ihr gefallen: Ich in einer Großstadt, die nicht besonders schön ist, die aber sehr lebendig und unglaublich vielfältig ist. Neben mir mein Hund.
Ich sehe Köln auch nie aus der Perspektive: Die Touristen-Altstadt weit hinten, direkt gegenüber der Rheinauhafen mit den berühmten Kranhäusern.
Dieser Wechsel des Standpunkts bringt schonmal Licht in meinen Kopf, schönes Tageslicht mit frischen Gedanken. Der Rücken wieder halbwegs gerade nach dem Sitzen am Schreibtisch und Elise guckt aufgeregt und etwas unsicher nach links und rechts. Ich beschütz dich, Süße!
Wir gehen unter der Severinsbrücke her. Es ist laut und dieses riesige Bauwerk beeindruckt uns beide. Ich fotografiere und meine liebe Hündin setzt sich hin und wartet, bis ich fertig bin. Neben einem Seitenarm des Rheins treffe ich eine Frau, die ihre Katze in einem kleinen Wägelchen mit Fenster spazieren fährt. Ich hab mich nicht getraut, sie zu fotografieren, aber sie sagte: „So habe ich einen Grund, mal wieder rauszugehen und die Katze findet es toll an der frischen Luft!“ „Wem sagen sie das!“ Lachen und Auseinandergehen.
Das ist so kölsch! Die Menschen hier sind traditionell und oft auch spießig, aber mit Konventionen haben sie nicht viel am Hut. Höchstens solche, die sie selbst festlegen, lassen sie gelten. Vielleicht fühle ich mich darum hier so wohl. Hier hat man viel Verständnis für Individualisten, für schräge Vögel und einfach Menschen mit einem eigenen Kopf. Das liegt sicher auch daran, dass Köln aus so unterschiedlichen Menschen besteht und das schon seit Jahrhunderten.
Das beweist mein Lieblingslied von den Bläck Fööss: Der kölsche Stammbaum
Liese und ich gehen weiter bis ans alte Aurora-Werk, dass vor einigen Monaten seinen letzten Sack Mehl entließ. Ist das Industriegeschichte oder nur ein altes Gebäude, das niemand mehr braucht? Wie es da wohl riecht?Ich würde gern mal reingehen und mir alles ansehen.
Weil das nicht geht, mache ich mit Elise ein Selfie. (Siehe oben) Ein Beweis, dass wir heute zusammen was Neues erlebt haben.
Dann kommt die große Mutprobe
Ich weiß das, aber Elise nicht. Sie hat nämlich Angst auf Brücken. Das hat was mit Instinkt zu tun: Auf der einen Seite geht es runter und auf der anderen rauschen die großen lauten Dinger. Ich hoffe, dass mein Mensch weiß, was er tut und mich beschützt.
Wir haben uns also erstmal den Weg gesucht, um überhaupt auf die Brücke zu kommen. Eine uralte Wendeltreppe führt nach oben; geeignet um der schnellen Fußgängerin einen Drehwurm zu bescheren. Oben angekommen, wird es laut und ich muss erstmal gucken, wie es weitergeht. Ab über den Rhein, das ist auf jeden Fall die richtige Richtung.
Ich finde es einfach toll, auf einer der Rheinbrücken zu stehen: Ich sehe diese komische Stadt, die nach vielen Jahren mein Herz gewonnen hat. Nochmal tief atmen und genießen, was ist. Selbst Elise ist gar nicht so ängstlich, wie ich befürchtet hatte. Sogar als ich stehenbleibe und zwei nackte Leute in einer Böschung am Rhein fotografiere, bleibt sie cool.
Leider konnte ich nicht erkennen, was die beiden da gemacht haben. Noch nicht mal, ob es Männlein oder Weiblein waren. Dass die nicht gefroren haben! Aber das muss ja jede/r selber wissen.
Wir gehen weiter und wieder begeistert mich die Struktur, die Form der Brückenarchitektur, die sich nach oben ausbreitet. Im Rückblick war das wie ein Museumsbesuch in ungewohntem Ambiente. Und hat viel Luft in die Seele gelassen. Ach Köln!
Elise folgt mir. Sie ist unsicher, aber sie traut mir und solange sie nicht zu nah ans Gelände muss, ist es für sie okay. Wieder ein paar Architekturbilder aus Brückenperspektive. Alte, unebene Steine und gerade Streben aus modernen Materialien. Beides ist schön und beides hat seine Berechtigung.
Vielleicht wächst so eine Stadt genau auf die richtige Art: In der Vielfalt der Formen und Stoffe, gleichberechtigt, stolz und gänzlich ohne den Anspruch auf Vollkommenheit.
Als wir das Ende der Brücke erreichen, steigen wir das Wendeltreppenpendant auf der linken Rheinseite herunter und das schön langsam. Ich bekomme einen Anruf aus dem Heim, in dem meine Mutter lebt. Sie war krank in den letzten Tagen und wir haben uns alle Sorgen gemacht. Es geht ihr aber besser und sie hat sogar im Gemeinschaftsraum ein Liedchen angestimmt. Meine Ma!
Eins fehlt noch auf diesem Spaziergang durch Köln: Was Sakrales.
Passend steht da auf unserem Weg zur Straßenbahn so ein großer marmorner Heiliger. Ich habe keine Ahnung, wer das ist, aber die dicke Männerfigur macht schon was her, oder?
Zu Hause finde ich raus, dass es St. Severin ist, der schützend seine Arme ausbreitet. Köln ist sehr katholisch; ich bin es nicht, aber ich mag die Gegenwart der Kirchen. In jedem Veedel steht mindestens eine und oft sind sie wunderschön und es gibt die irrwitzigsten Dinge darin: In St. Ursula gibt es z. B. einen Raum, die sogenannte Knochenkammer, darin liegen mehrere hundert Totenköpfe. Ich war schon drin und es ist kein bisschen gruselig. Aber schon schräg. Hier ein Artikel aus der SZ darüber.
Köln ist eben spannend. In jeder Hinsicht.
Unser Spaziergang ist zuende. Elise hat wieder erfahren, dass ihre Menschen schon wissen, was sie tun und dass sie uns vertrauen kann. Ich habe erfahren, dass es Gegenden in Köln gibt, die entschleunigen und trotzdem richtig spannend sein können. Freiluftmuseum Großstadt. Hat mir gut getan. Mein Gehirnstübchen vielleicht nicht aufgeräumt, aber ein bisschen erhellt und Staub geputzt.
Ich wünsche dir viel Spaß und viel gute Luft auf deinem nächsten Spaziergang!
4 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Klingt nach einem wirklich schönen Tag! Das vorletzte Bild gefällt mir besonders!
Dankeschön! Das war wirklich ein toller Tag! Schick mir mal Fotos von deinem letzten Spaziergang! 🙂
Köln ist einfach ein Gefühl 😋
Es hat lange bei mir gedauert – aber ich weiß jetzt, was das heißt. Es stimmt, und das Gefühl ist schön!