Okay, jetzt muss ich wohl doch mal in persönliche Details gehen. Ich schleiche bisher so ein bisschen drumrum, aber es gibt darin so vieles, was ich anderen Frauen zu dem Thema Wechseljahre mitteilen möchte.
Außerdem liegt darin einer der Gründe, warum es dieses Blog überhaupt gibt.
Schluck!
Also:
Moment, erstmal Duftkerze anmachen.
Also: Alles begann am 13. August 2014. Da steht unter diesem Datum in einem kleinen Heft, das ich von meiner Nichte bekommen habe – es sollte ein frohes „Wechseljahrstagebuch“ werden – folgender Eintrag:
Es ist soweit: Ich bin in den Wechseljahren. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich heute fünf Tage drüber. Seit ziemlich genau 40 (!) Jahren habe ich jeden Monat meine Mens auf den Tag genau. Kann mich nicht erinnern, dass ich jemals später dran gewesen wäre.
Und um ehrlich zu sein: Es war ein erhebendes Gefühl. Ein bisschen als hätte ich Geburtstag. Und ich erinnerte mich beim Schreiben an meine erste Periode mit zwölf Jahren: Ich hatte damals meine Lieblingsunterhose aus grünem Frottee an. In der Schule war ich auf dem Klo und hab ganz verdattert auf den dunklen Fleck gestarrt. Auf dem grünen Stoff war ja kein Rot zu erkennen. Ich war erschrocken. Und saß grübelnd so da, bis ich drauf kam, dass ich wohl meine Menstruation hatte.
War damals übrigens genau so stolz wie jetzt
Das war also mein sanfter Einstieg in die Wechseljahre. Mit fünf Tagen drüber und der Erkenntnis, dass es jetzt wohl wirklich so weit war. Naiv…
Ich hatte mich wirklich auf die Wechseljahre gefreut – endlich zog ich wieder mit den anderen Frauen gleich, die Kinder hatten. Für die Wechseljahre muss frau sich nicht entschuldigen oder sie erklären. Da kommen wir alle hin.
Aber irgendwie ist dann alles ganz anders gelaufen als ich es mir vorgestellt hatte. Ein Jahr später merkte ich den Wechsel schon deutlich: Gelenkschmerzen, Schlaflosigkeit, Angstgefühle und Nachtschweiß – das alles hätte mich nicht in die Knie gezwungen, aber dann kam eine sehr grundlegende Veränderung dazu: Mein Job als Pressereferentin wurde nach Berlin verlegt. Natürlich wollte ich in Köln bleiben.
Ich bekam also eine Abfindung und dann sagte ich mir: Als Journalistin hast du lange genug gearbeitet. Ich mache was anderes! Außerdem kann ich als Ernährungsberaterin auch noch in 20 Jahren arbeiten.
Ich war ganz selbstbewusst, denn ich hatte fast zehn Jahre zuvor eine TCM-Ausbildung gemacht, zwischendurch auch beraten und immer wieder Seminare gemacht. Fachlich war ich fit und mit Menschen umgehen konnte ich auch.
Mannometer, was ich mir damals so gedacht habe…
Es war also beschlossen: Ich mache mich selbstständig! Kurz darauf wurde mir ein Raum in einer allgemeinmedizinischen Praxis angeboten. Ich sach dir, ich fühlte mich wie die Königin der Welt! Wie cool!
Ich bestellte Möbel, machte Fotografien und daraus mein eigenes 5-Elemente-Kunstwerk.
Es gab sogar eine kleine Einweihungsfeier, das war im Januar 2017. Meine Ausbilderin, Sooni Kind, war auch da und hielt sogar auch eine kleine Rede. Ich war glücklich, wenn auch ziemlich angestrengt.
Denn mein Leben war wirklich komplett auf links gezogen.
Anstrengung, gleich welcher Art, spürte und spüre ich immer schnell im Rücken. Alles wird hart und ganz starr. Und Wechseljahre sind anstrengend! Jedenfalls meine.
Jedem Anfang wohnt ein Zauber… NEIN, NICHT IMMER
Ich hatte also: meinen Job nach 12 Jahren verloren, wollte mir ein eigenes Business aufbauen, war in den Wechseljahren. Bisschen viel auf einmal…
Ich veränderte mich auch optisch. Ich nahm zu und abnehmen war und ist schwer. Ich habe seit mehr als 20 Jahren einen insulinpflichtigen Diabetes und das Zeug, also Insulin, rettet mir zwar das Leben, macht die Sache mit den Kilos nicht einfacher.
Und ich erkannte mich im Spiegel einfach nicht mehr! Ich hatte immer noch die 30-Jährige vor Augen und erschrak jedes Mal, wenn mir diese alte Frau irgendwo entgegenblickte.
Das ging auch über Eitelkeit hinaus, ich wollte mich einfach wieder erkennen!
Nach jedem Baden klebten viele Haare in der Wanne. Ich weiß noch, wie ich beim Ausspülen im Bad stand und weinte, weil ich so zerbröckelte und immer weniger von mir blieb – ich verwandelte mich in ein Wesen, das ich nicht kannte und das ich nicht sein wollte.
Aber alles, ich schwöre, das alles war NICHTS gegen die Schmerzen. Es waren hauptsächlich die Iliosakralgelenke, oder auch Kreuzbein-Darmbeingelenke. Die sind rechts und links im Becken und helfen, z. B. bei einer Geburt, den Beckenring zu vergrößern.
Ich habe eine Beckenverwringung und darum kann es schonmal passieren, dass sich was verhakt. Das tut sauweh. Geht bei mir aber eigentlich nach ein paar Tagen Schonung (ist bei jeder anders) wieder weg. Diesmal aber nicht.
Ich hatte über ein Jahr durchgehend deprimierende, grinsende Schmerzen. Manchmal nur kleine, stichelnde und oft richtig starke. Aber jeder dauerhafte Schmerz greift dich irgendwann im tiefsten Inneren an. Das zwang mich jeden Tag in einen Ausnahmezustand. Ich war nutzlos, bewegungslos und hoffnungslos. Das hat mich an meine Grenze gebracht.
In meinem „Wechseljahrstagebuch“, das ich so euphorisch begonnen hatte, steht über diese Zeit:
Es war das schlimmste, angsteinflößendste und schmerzvollste Jahr meines Lebens. Ich übertreibe nicht.
Tja, dieses Jahr ist zum Glück vorbei. Und mit ihm Schmerzen, Angst und Depression. Aber das hab ich nicht allein geschafft. Ich brauchte Hilfe. Und um ehrlich zu sein, war es mir vollkommen egal, woher diese Hilfe kam. Also:
Hormone. Yep, genau die!
Nix mehr mit pflanzlich oder so. Östrogene sollten her und ich hab sie auch bekommen.
Hätte man mich ein paar Jahre vorher gefragt, ob ich eine Hormonersatztherapie machen würde, ich hätte ganz klar und ziemlich empört abgelehnt. Schließlich sind Wechseljahre ja keine Krankheit. Wenn mir das heute jemand sagt, dem spring ich ins Gesicht.
Die ganze Diskussion um Hormone war mir zu der Zeit so egal, ich hätte auch Kuhpisse getrunken.
Ich begann also in Absprache mit meiner Gynäkologin mit einer sogenannten Hormonersatztherapie. Und: die Hormone haben geholfen. Ein wenig. Ein bisschen gestützt. Aber schlecht ging es mir immer noch.
Therapie
Gleichzeitig hatte ich das riesige Glück, ohne Wartezeit eine Therapeutin zu finden. Ich brauchte Hilfe, um alles einordnen zu können, um zu verstehen, dass ich durch die Wechseljahre nicht über Nacht eine mir unbekannte Frau geworden war. Und auch das war völlig neu für mich: So viel von mir zu erzählen und vor einer fremden Person zu weinen!
Sie hat mir zugehört, mich ernst genommen, sie war jede Woche mein menschlicher emotionaler und intellektueller Anker. Sie hat mir geholfen, meine innere Wahrnehmung zu verändern und – gaaanz langsam – mein Gesicht wieder als meines zu erkennen. Das war eine unglaubliche Erleichterung und es wirkt bis heute.
In dieser Hinsicht ging es mir also schonmal besser. Aber die Schmerzen blieben fast genaus so stark wie von Beginn an und machten mich weiter fertig.
Irgendwann las ich etwas über Antidepressiva, die auch bei Schmerzen helfen.* Das gute alte Schmerzgedächtnis fiel mir wieder ein. Das Mistding merkt sich einfach, wo es einmal wehgetan hat. Dann generiert es jedes Mal Schmerzen, wenn es Stress gibt, wenn du Angst hast und auch mal einfach nur so. Du kannst NICHTS dagegen tun.
Positiv denken funktioniert nicht.
Da meine Therapeutin keine Ärztin war, ging ich das erste Mal in meinem Leben zu einer Psychiaterin! Sie sollte mir ein Antidepressivum verschreiben. Zum Glück kannte sie sich sehr gut in der Verbindung von Körper und Seele gut aus. Allein dieses Verständnis tat schon unglaublich gut.
Sie verschrieb mir ein Mittel, das speziell bei Schmerzpatienten eingesetzt wird
Als ich mit dem Rezept in die Apotheke ging, musste ich wirklich mein bewährtes Pokerface aufsetzen, kam mir vor als würde ich Heroin kaufen! Flüster: „Oh, die Dame benötigt ein Antidepressivum. So sieht sie gar nicht aus. Schlimm, schlimm…“
Natürlich hat niemand geflüstert und ich kam ohne rot zu werden wieder raus.
Lies bloß NIEMALS den Beipackzettel eines Antidepressivums!
Nebenwirkungen wie Selbstmordgedanken, Depressionen usw. kann man nun wirklich nicht zusätzlich zu Selbstmordgedanken oder Depressionen verkraften.
Magenbluten oder… ach egal, kurz gesagt: Ich merkte nix an Nebenwirkungen, es ging mir großartig. Welch ein Glück!
Ein bisschen hatte ich schon das Gefühl, schwächlich zu sein. Das war mir irgendwie peinlich. Als ob ich zu zimperlich wäre, mit einer Unpässlichkeit wie den Wechseljahren fertig zu werden. Nun ja, das war ich. Ich konnte einfach nicht mehr.
* Kurzer Einschub: Ich plädiere ganz sicher nicht für den unkritischen und selbstverständlichen Gebrauch von Medikamenten! Das sind oft nicht ungefährliche und manchmal nur scheinbare „Problemlöser“. Das gilt sowohl für den Einsatz von Hormonen als auch die Einnahme von Antidepressiva. Aber es gibt Situationen, in denen du von der chemischen Hilfe profitieren kannst. Frag jedoch immer deine Ärztin, wenn du Hilfe brauchst! Denn: Jeder Jeck ist anders! Dass es mir geholfen hat, muss nicht heißen, dass es bei jeder so ist!
Nach ungefähr vier Tagen, oder lass es fünf sein, schmolzen die Schmerzen. Der Ausdruck schmelzen beschreibt es gut. Sie wurden sanfter, gutmütiger und dösen seitdem so vor sich hin. Manchmal heben sie kurz den Kopf, ich streichle sie ein wenig und dann nicken sie wieder ein. Wir haben uns miteinander arrangiert.
Es war unglaublich befreiend! Ich bekam wieder Lust aufs Leben. Und als das starre Gefühl verschwand, wurde ich äußerlich und innerlich beweglicher, ich konnte endlich wieder ich sein und leben.
Auch die Kraft starker Frauen ist begrenzt.
Was ich dir sagen will: Halt es nicht einfach aus! meine ich nicht nur die Wechseljahre, sondern jede Krise, jedes Tief und jede Hürde: Lass dir helfen! Es ist kein Zeichen von Großartigkeit, wenn du alles alleine schaffen willst.
Informier dich gut, was für Möglichkeiten Medikamente bieten und wo auch ihre Grenzen sind. Sei kritisch im Umgang mit Chemie, aber hab keine Angst davor. Halt auch mal was aus, aber quäl dich nicht, nur weil Wechseljahre „keine Krankheit“ sind.
Und hab keine Angst vor den Wechseljahren! Du bist nicht weniger eine Frau, nur weil du keine Kinder mehr kriegen kannst!
Ich bin immer noch nicht glücklich darüber, dass ich älter, runder, und anders bin als früher. Aber es gibt Tage, da sehe ich mich im Spiegel an und freue mich. Und das Wichtigste: Ich erkenne mich. Das ist viel wichtiger als die alte Schönheit. Gibt eben eine neue.
Und dieses Erkennen hat mich befreit: Ich bin wieder kreativ, fotografiere und habe solche Lust aufs Schreiben, dass ich dieses Blog begonnen habe. Meine Beratungspraxis habe ich aufgegeben und einen neuen Job in einer Pressestelle gefunden.
So war das also also bei mir mit dem Wechsel. Letztendlich war diese harte Zeit für mich auch eine Voraussetzung, um da zu landen, wo ich jetzt bin – bei mir, der älteren und weicheren Gisella, die anders, aber immer noch sie selbst ist.
16 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Soo schön und berührend geschrieben ❤️
Das freut mich sehr, vielen Dank! <3
Danke dir für den schönen Beitrag.
Liebe Barbara, schön, dass du auf die Seite gefunden hast, und dass dir der Text auch gefällt!
Toll geschrieben, Hut ab vor Deiner Initiative und Deiner Offenheit. Ich wünsche Dir viele Leserinnen – und Leser!
Danke lieber Lothar! Ja, natürlich sind auch Les*er bei mir herzlich willkommen! 🙂
Liebe Gisi, das ist echt mal eine Bereicherung im Netz! Tolle Texte, viel zum Nachdenken, sehr ermutigend. Und auch wenn Erik Spiekermann sagt, das interessante Texteselbst in den Schnee gepinkelt lesenswert sind: Schöne Bilder und Farben erfreuen Auge und Herz. Danke und ich freue mich auf mehr 🙂
Vielen Dank, Nanntte, das freut mich doll! 🙂 Leider liegt ja hier kein Schnee – darum schreibe ich traditionell 😉
Ein schöner und mutiger Text, Gisella! Die ganzganz kurze Version der Leidenszeit hast du mir irgendwann in einer Kneipe in der Südstadt erzählt, wenn ich nicht irre. Wie schön, dass du daraus so stark hervorgehst. Viel Erfolg für deinen Blog! Ich schau gerne gelegentlich vorbei….
Danke, Regina! Ich bin auch froh, dass alles so ist, wie es ist. Und toll, wenn du mal wieder vorbeischaust! 🙂
Es freut mich, wenn Frauen so offen über Depressionen in den Wechseljahren sprechen. Als Psychologin weiss ich, dass viele Frauen davon betroffen sind. Glücklicherweise gibt es viele Massnahmen, die helfen können, wie Gespräche, Bewegung, Entspannungstechniken und eben auch Antidepressiva. Die Einnahme dieser Medikamente ist häufig noch ein Tabuthema.
Dabei können sie auch in den Wechseljahren sehr effektiv sein, da sie die veränderte hormonelle Situation positiv beeinflussen und sich die Frauen bald viel besser fühlen!
Danke Michele, für deinen Kommentar! Ich gebe zu, es war auch für mich nicht einfach, mich der „Chemie“ anzuvertrauen. Aber ich habe schnell gemerkt, dass sie mir geholfen hat und schäme mich nicht dafür. Denn eine Situation wie in den Wechseljahren kann eine Frau schon sehr fordern, zurückhaltend ausgedrückt.
Vielen Dank für diesen tiefen Einblick. Habe mich an einigen Stellen gefunden und am meisten berührt hat mich der Satz, dass man nicht einfach nur alles aushalten muss. Alles Liebe für dich und herzliche Grüße
Danke, liebe Anja! Dein Kommentar freut mich sehr! Und ich schicke dir liebe Grüße zurück!
Ich ziehe meinen Hut vor deiner umfassenden Schilderung: Chapeau liebe Gisela! Bemerkung aus eigener Erfahrung: Wechseljahre gibt es auch in „easier“. Das Anfreunden mit den Veränderungen bleibt. Das hast du sehr gut beschrieben.
Danke, liebe Birgit! Ja, zum Glück geht es nicht allen Frauen so. Aber wenn es so kommt, muss man es nicht aushalten, nur weil es „keine Krankheit“ ist. Wichtig ist eine gute Beratung bei der Frauenärztin. Daran mangelt es jedoch leider oft.