Feminismus – bin auch ich berufen?

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Feminismus 2023

Auf Facebook hat „Frau TV“ mal gefragt „Wozu brauchst du Feminismus?“  Diese Frage hatte ich mir wirklich noch nie gestellt. Brauche ich überhaupt Feminismus? In meinem Leben, in meinem Alltag? Hm… Ich erinnere mich noch daran, wie ich als junges Mädchen zum ersten Mal mit dem Thema „Emanzipation“ in Berührung kam – ja, so hieß das damals.

Und ich war 14…

Bei uns zu Hause gab es die klassische Rollenteilung. Mein Vater, der Geldverdiener, war allerdings ein fürsorglicher und zurückhaltender Mann, meine Mutter, die Hausfrau, war bestimmend und nicht sehr sanft. Beide waren für mich darin Vorbilder, dass Frauen nicht immer lieb und unterwürfig und Männer nicht immer dominant sein müssen.

Familienfrauen als Bestimmerin geht super!

Für mich war als Mädchen immer klar, dass Frauen genauso – alles sind und können wie Männer. Hab nicht weiter drüber nachgedacht.

Ich war also ungefähr 14 oder 15. Mein Bruder, zwei Jahre älter als ich, hatte eine Freundin. Nennen wir sie Pia. Ich fand sie toll: Sie hatte „starke“ Klamotten an, sah toll aus und ich bewunderte sie sehr. Ich weiß nicht mehr, was wir damals für „cool“ sagten, aber sie war es. Und ist es übrigens immer noch.

Außerdem las sie Bücher von Shere Hite und ähnlichen Autorinnen. Das hat mich total beeindruckt. Ich nahm mir daraufhin Alice Schwarzer vor. Damals war sie noch nicht die „böse, weiße Frau“, die sie heute ist.

„Der kleine Unterschied und seine Folgen“ hieß ihr Buch. Es wurde 1975 veröffentlicht.

Der Berliner Tagesspiegel schrieb 2015, zum 40. Geburtstag des Buches, dazu: 17 deutsche Frauen interviewte Schwarzer für das Buch, Ehefrauen, Hausfrauen, Verkäuferinnen, Studentinnen, Akademikerinnen mit Namen wie Annegret, Sonja, Hildegard oder Renate. Sie sprachen über die banalsten Dinge: Hausarbeit, Ehe, Freundinnen, Kinder, Probleme im Bett, Probleme bei der Arbeit, Sorgen ums Geld, die Figur, den Selbstwert.

Sowas wollte ich lesen. Und ich fand es spannend, weil mir vorher nicht klar gewesen war, dass es diesen Unterschied (Ich meine den gesellschaftlichen, nicht den biologischen!) gab. In meinem Selbstverständnis als Mädchen kam der einfach so nicht vor. Ich war regelrecht erschrocken und war dann sehr beruhigt, als ich mir einredete, dass ich ja ein eine moderne Welt hineinwuchs. Wenn ich einst groß wäre, gäbe es diese Probleme nicht mehr. Oh idealistische, naive Jugend…

Die erste Enttäuschung war die Erkenntnis, dass die Frauenbewegung eine ziemlich elitäre Sache war. Nicht die „normalen“ Frauen“ hatten was davon, sondern die Studentinnen, die gebildeten und privilegierten Frauen: In Bielefeld, wo ich damals lebte, fanden an der Uni Frauenwochen statt. Ich hoffe, der Begriff stimmt noch. Ich holte mir das Programm. Aber alle Veranstaltungen liefen zu Zeiten, in denen Frauen, die Kinder hatten oder arbeiten mussten, nicht kommen konnten. Das hat mich wirklich erstaunt, denn ich dachte, dass es genau um die Frauen geht! Ich hatte wirklich gedacht, die Frauenbewegung engagiert sich für die benachteiligten und wirklich „bedürftigen“ Frauen. Trotzdem kaufte ich mir irgendwann meine erste EMMA, die COURAGE und voller Vergnügen auch den Frauenkalender von Emma.

Feminismus war aber für mich zunächst mehr Attitüde als inneres Bedürfnis.

Und als ich selbst anfing zu studieren, waren mir andere Dinge einfach wichtiger. Ich hatte das Glück in einer Blase zu leben, wo ich mich nicht benachteiligt oder unterdrückt fühlte. Kunst, Design, Literatur, das waren damals meine Themen. Die große weite Welt war mir weniger wichtig. Ich war einfach unglaublich intensiv damit beschäftigt, erwachsen zu werden. Feminismus war zwar immer irgendwie Teil meiner inneren Welt. Aber nicht so wichtig für mein egoistisches junges Leben. Das hat sich sehr geändert in den vergangenen Jahren.

Toll! Wir dürfen immerhin unseren Namen behalten!

Aber sonst ist nicht allzuviel passiert in den vergangenen 50 (!) Jahren, finde ich! Immerhin haben wir eine Außenministerin, die sich gegen den obligatorischen Blumenstrauß für weibliche Gäste wehrt. Und sie engagiert sich für eine feministische Außenpolitik. Ich drücke ihr die Daumen!

Und Vergewaltigung in der Ehe ist doch immerhin seit 1997 (!!!) strafbar. Wir sind dankbar! Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen! Seit 25 Jahren erst!

Es gibt so viele Beispiele dafür, dass Frauen jahrzehntelag politisch mitgeschleppt wurden. Seit „Frauen und Gedöns“ des Ex-Bundeskanzlers Schröder ist noch nicht viel Zeit vergangen. Damals hat sich keiner wirklich drüber aufgeregt.

Lohnt sich das denn?

Naja, ich bin jetzt 60 Jahre alt. Ich hatte und habe ein privilegiertes Leben. Aber auch ich habe Frauenfeindlichkeit und/oder Diskriminierung im Beruf und privat erlebt. Jobs nicht bekommen, vor unterdrückter Wut krank geworden, weniger Geld als der Kollege verdient, wurde über mein Aussehen beurteilt und habe auch brenzlige und unangenehme Situationen erlebt.

Aber es hat mich nicht in die Armut getrieben, wie z. B. viele Frauen mit Kindern, Frauen in schlecht bezahlten Jobs. Ich bin nie körperlich verletzt worden, wie immer noch so viele Frauen, die die vergewaltigt und getötet werden. Dabei ist Gewalt gegen Frauen alltäglich. Ich habe also Glück gehabt.

Und im Gegensatz zu meinem 20-jährigen Ich wird die 60-Jährige Gisella jedoch wütend. Ich trau mich jetzt. Ich kann darüber schreiben und auch in Gesprächen muss ich nicht mehr lieb sein. Der nächste Mann, der mich fragt, ob ich eine Emanze bin, dem muss ich leider ein deutliches Ja ins Gesicht lächeln. Ich gendere meine Sprache in Schrift und gesprochenem Wort. Denn ich will, dass wir Frauen überall vorkommen! Auch wenn es nervt und anstrengend ist.

Ich spreche mit jungen Frauen darüber. So kann ich auch bei ihnen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass wir uns nicht auf den Lorbeeren der Frauen vor uns ausruhen können. Der Frauen, die in den 1970er Jahren die Jungs zum ersten Mal so richtig aufgemischt haben. Damals gehörte auch Alice Schwarzer dazu. Man kann über sie denken, was man will. Aber sie hat die Frauenbewegung zu uns gebracht. Uns Frauen damit eine Stimme verschafft.

Seit dem Beginn der deutschen Frauenbewegung haben wir zwar nicht so viel erreicht, wie gehofft, aber wir sind auch nicht verstummt.

Natürlich hat sich einiges geändert, seitdem ich im zarten Jugendalter den „kleinen Unterschied“ entdeckte. Wie die Lage jedoch wirklich aussieht, hat die wunderbare NGO „Pinkstinks“ recherchiert. Pinkstinks schreibt über wichtige Frauenthemen und wehrt sich z. B. gegen sexistische Werbung und vieles mehr. Absolut lesens- und unterstützenswert! Hier also die ernüchternde Nachricht von Pinkstinks e. V. zum diesjährigen Internationalen Tag der Frau:

Es dauert noch 131 Jahre, bis wir alle gleichberechtig leben können!

Der Internationale Tag der Frau ist also kein Tag für Blümchen oder Schokolade. Denn es geht um nichts weniger als wirtschaftliche und soziale Gleich-Berechtigung, Ächtung von Sexismus und Gewalt gegen Frauen und Respekt.

Junge Frauen brauchen eine gutes Ausbildung, die sie selbstbewusst macht und vor wirtschaftlicher Not schützt. Junge Männer brauchen Bildung, in der Sexismus nicht geduldet wird.

Darum kann ich die Frage von oben, ob ich Feminismus in meinem Leben brauche, ganz klar beantworten: Ja natürlich!

Wie stehst du zu diesem Thema? Engagierst du dich? Nervt es dich? Was meinst du dazu? Ich freue mich sehr über jeden Kommentar, jede Meinung und jede Anregung. Natürlich auch von Männern!

Links zu passenden Texten auf meiner Seite:

Pflege ist Frauensache!?

Herzlichen Glückwunsch! Du bist eine Frau!

„Lass dich nicht unterkriegen, sei frech und wild und wunderbar!“

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1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort

  • werner rüdiger
    7. März 2023 20:46

    Mein stärkster Beitrag ist einfach mein Verhalten. Als Mann. An dem eskalierenden verbalen Gezerre mag ich mich nicht beteiligen. Aber sich angemessen verhalten und handeln. Verbal sind mir da viel zu viele Mißverständnisse, Schuldzuweisungen, Verletzungen, Diskreditierung usw. unterwegs, aus allen Richtungen.
    Einfach verhalten und handeln.
    Kommentarlos.
    Aber auch das wird wohl kommentiert und bewertet.
    Am Ende beliebig, weil in allen Farben.
    Wird mein Verhalten und Handeln nicht verändern.

    Antworten

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